Johann Georg Tralles


Auszug aus Poggendorf 2, Leipzig 1863

Nachdem er von 1782 an in Göttingen studirt, Prof. ord. d. Mathematik u. Physik an d. Acad. in Bern von 1785 bis 1803, dann einige Zeit in Neuenburg privatisirend und seit 1804 Mitgl. d. Acad. d. Wiss. in Berlin, sowie seit 1810 Prof. ord. d. Mathematik an d. Univ. daselbst (Encke, Abhh. Berlin. Acad. 1826) (Wolf), geb. 1763, Oct. 15, Hamburg, gest. 1822. Nov. 18-19, London. (Wohin er gereist war, um Apparate zur Pendelbestimmung zu besorgen.


Auszug aus Kurt-R. Biermann. Die Mathematik und ihre Dozenten an der Berliner Universität. Berlin 1988

Der erste Ordinarius für Mathematik und zugleich fü Physik war Johann Georg Tralles. Der gebürtige Hamburger war nach dem Studium in Göttingen durch Kästner 1785 nach Bern empfohlen worden, wo er sich als Professor für Mathematik und Physik vornehmlich mit geodätischen Arbeiten befaßte. Er beteiligte sich an den nach der Französichen Revolution in Paris unternommenen Bestrebungen zur Regulierung von Maß und Gewicht. 1804 wurde er an die Berliner Akademie berufen. Von 1810 bis zu seinem Tode war er dort Sekretar der mathematischen Klasse. Im persönlichen Umgang war er schwierig; Wilhelm von Humboldt nannte ihn "eigensinnig, spitzig und nicht immer sehr artig". Als angewandter Mathematiker, als Geodät und als Physiker (Trallessches Alkoholmeter) hatte er einen guten Ruf; weniger glücklich war er in der reinen Mathematik. Auf jeden Fall hat Tralles 1811/16 das Anliegen Wilhelm von Humboldts, den mathematischen Unterricht an den "gelehrten Schulen" mit dem in Sprachen und Geschischte gleichzustellen, nach Kräften gefördert, u.a. entwarf er einen (nicht verwirklichten) Plan fü eine zweijährige Fortbildung der Mathematiklehrer an der Berliner Universität. Von Von seiner Vorlesungstätigkeit wissen wir wenig. Franz Neumann, der "Begründer der mathematischen Physik in Deutschland", machte keine guten Erfahrungen:

"Übrigens war es mir in Berlin (1817/18) in bezug auf die mathematischen Vorlesungen nicht besser ergangen als in Jena. Als ich mich beim Professor der Mathematik [Tralles] meldete, sagte dieser: 'Ja, ich habe die Vorlesung angezeigt, sie pflegen aber nie zustande zu kommen.' Ich verabredete mit fünf anderen, zu ihm zu gehen. Der Professor kam ins Auditorium, stellte sich aufs Katheder und schrieb, mit dem Rücken gegen uns gewendet, ununterbrochen mathematische Formeln an die Tafel, sprach kein Wort, zeichnete weiter, bis die Zeit um war; dann machte er uns eine Verbeugung und ging fort. Am zweiten Tage kamen nur noch drei Zuhörer. Der Professor stellte sich wieder an die Tafel, zeichnete wieder ununterbrochen mathematische Formeln an dieselbe, sprach wieder kein Wort, machte seine Verbeugung, und die zweite Vorlesung war beendet. Den dritten Tag kam außer mir nur noch ein Zuhörer. Der Professor erschien, ging aufs Katheder, wandte sich zu uns und sagte:' Sie sehen, meine Herren, es kommt kein Kolleg zustande', machte seine Verbeugung und verschwand."

Im WS 1816/17 hörte Leopold Zunz bei Tralles Wahrscheinlichkeitsrechnung. Auch er berichtete, daß die Privatvorlesungen meist nicht zustande kamen, weil sich keine drei Hörer fanden. Das mathematische Niveau beurteilte Zunz als unbedeutend. Im "Publikum", d.h. in der öffentlichen, unentgeltlichen Vorlesung, habe es Tralles auf sieben Hörer gebracht. Viele der von Tralles angekündigete Vorlesungen scheinen nicht zustande gekommen zu sein. Von der Thematik her deuten seine Ankündigungen darauf hin, daß er sich auch an neueren Erkenntnissen orientiert hat; in seinen Reformbestrebungen sind damals moderne Gesichtspunkte nicht zu übersehen.