Mächtigkeit von Mengen

Der Begriff der Mächtigkeit wird in die Mathematik eingeführt, um die Anzahl der Elemente verschiedener Mengen zu vergleichen. Mengen mit gleicher Elementeanzahl haben dabei gleiche Mächtigkeit oder sie sind gleichmächtig.

Die Mächtigkeit von endlichen Mengen kann man mit natürlichen Zahlen beschreiben, d.h. die Mächtigkeit einer Menge von zwanzig Äpfeln ist eben 20 und die Mächtigkeit von einem Stapel von hundert Eintrittskarten ist 100.

Die Mächtigkeit von unendlichen Mengen wird mittels eineindeutiger Abbildungen bestimmt. Dazu ein Beispiel aus der Antike:

Einer Annahme zufolge hat sich die Keilschrift der Sumerer aus dem Abzählvorgang entwickelt. Wenn ein Hirte ein Herde Schafe von einer Stadt in die nächste treiben sollte, so hat ihm der Besitzer der Schafe ein kleines verschlossenes Tongefäß mitgegeben, das für jedes Schaf eine Kugel enthielt. Kam der Hirte nun in der anderen Stadt an, so gab er das Tongefäß ab, es wurde geöffnet und die Schafe wurden einzeln an so etwas wie einem Buchhalter vorbeigetrieben. Der nahm für jedes vorbeikommende Schaf eine Kugel aus dem Behältnis. Wenn zum Schluß noch Kugeln im Gefäß waren, so war klar, daß der Hirte unterwegs Schafe verloren hat.
Später wurden zusätzlich zu den Kugeln im Gefäß noch mittels eines kleinen Keils Kerben in das Tongefäß geritzt, deren Anzahl die Größe der Herde angab. Damit sparte man das Öffnen des Gefäßes und somit kostbare Zeit. Nur im Zweifelsfalle wurde der Behälter geöffnet. Auf diese Weise war die Keilschrift erfunden.

Betrachtet man den Vorgang mit den Kugeln und Schafen aus einem mathematischen Blickwinkel, so wurde jedem Schaf genau eine Kugel zugeordnet. Und genau das ist der Begriff der eineindeutigen Abbildung: eine Vorschrift, die jedem Element aus der einen Menge exakt ein Element aus einer anderen Menge zuordnet.

Will man nun die Mächtigkeit zweier Mengen vergleichen, so wird versucht, eine eineindeutige Abbildung zwischen diesen beiden Mengen zu finden. Gelingt dies nicht, so sind diese Mengen nicht gleichmächtig.

Beispiel 1: Man hat eine Kiste mit Äpfeln in einem Klassenraum zu stehen. Nun will man wissen, ob genausoviele Äpfel in der Kiste sind, wie Schulkinder in der Klasse. Also gibt man jedem Kind einen Apfel. Hat ein Kind keinen Apfel bekommen oder ist ein Apfel übrig geblieben, dann hat man keine eineindeutige Abbildung gefunden und die Menge der Kinder ist nicht gleichmächtig mit der Menge der Äpfel.

Beispiel 2:Man vergleicht die Menge der geraden Zahlen mit der Menge der natürlichen Zahlen. Angenommen, wir hätten kein Platzproblem und könnten die natürlichen Zahlen nacheinander in einer Zeile aufschreiben. In der Zeile darunter schreiben wir der Reihe nach die geraden Zahlen. Der Anfang der beiden Zeilen sähe etwa so aus:
natürliche Zahlen123456789...
gerade Zahlen24681012141618...
Dabei kann man jeder geraden Zahl exakt eine natürliche Zahl zuordnen, nämlich in dem man sie durch Zwei teilt. Oder umgekehrt, man kann jeder natürlichen Zahl genau eine gerade Zahl zuordnen, indem sie mit Zwei multipliziert wird. Es existiert also eine eineindeutige Abbildung zwischen den beiden Mengen und somit sind sie gleichmächtig. Dieses Ergebnis ist überraschend, wenn man bedenkt, daß die geraden Zahlen eine Teilmenge der natürlichen Zahlen sind. Aber mit unendlichen Mengen sind solche Effekte möglich.

Es gibt aber noch größere Mengen, als die der natürlichen Zahlen. Die bekannteste Zahlenmenge dieser Art ist die Menge der reellen Zahlen, auch Kontinuum genannt. Die reellen Zahlen sind alle die Zahlen, die man in Dezimalschreibweise aufschreiben kann, wenn man nur lange genug lebt, zum Beispiel 28,3846238763846527849187234....usw. Diese Zahlenkolonne kann man solange fortsetzen, wie die Geduld reicht und man erhält stets eine reelle Zahl.
Will man etwas über die Mächtigkeit der reellen Zahlen herausfinden, so kann versucht werden, eine eineindeutige Abbildung zu den natürlichen Zahlen zu finden. Dieser Versuch ist bisher gescheitert und man hat darüber hinaus entdeckt, daß es keine solche Abbildung geben kann. Da die Menge der natürlichen Zahlen im Kontinuum enthalten ist, muß das Kontinuum die größere Menge sein. (Man beachte den feinen, aber entscheidenen Unterschied zum Beispiel 2: dort war ebenfalls die eine Menge in der anderen Menge enthalten, aber wir hatten eine eineindeutige Abbildung gefunden, weshalb die Mengen gleichmächtig sind. Hier ist wieder die eine Menge in der anderen enthalten, aber wir können auf keinen Fall eine eineindeutige Abbildung finden. Deshalb muß eine Menge größer sein als die andere.)

mrw, 26.01.2001